Das Wehr bei Nidau konnte die Wassermassen bei weitem nicht meistern. Zudem schloss das Bauwerk nur den Nidau-Büren-Kanal ab, nicht aber die Zihl.Die Kantone Freiburg, Neuenburg und Waadt telegrafierten nach Bern und verlangten die sofortige Sprengung des Bauwerks. Der damalige bernische Baudirektor Könitzer kabelte knapp zurück: «Nume nid gschprängt». Nein, gesprengt wurde das Bauwerk nicht. Doch die Angelegenheit war dringend. Von 1911 bis 1915 wurde deshalb das alte Bauwerk zu einem flexibleren Schützenwehr umgebaut. Das heutige Regulierwehr bei Port wurde zwischen 1936 und 1939 als vorgezogene Massnahme zur Zweiten Juragewässerkorrektion errichtet und ist nach wie vor ein Kernstück der gesamten Korrektionsarbeiten im 20. Jahrhundert.
Das Hochwasser von 1944
1944 wurde die Region von einer Überschwemmungskatastrophe heimgesucht – der schwersten seit Abschluss der Arbeiten zur Ersten Juragewässerkorrektion. Ein Föhneinbruch hatte im November eine verfrühte Schneeschmelze ausgelöst. Als dann auch noch Dauerregen einsetzte, war das Chaos perfekt. Die Aare schwoll gewaltig an und ebenso die Saane, die den Damm bei Wileroltigen zerstörte und die Gegend überflutete.
Am 24. November flossen bei Hagneck 1500 Kubikmeter pro Sekunde in den Bielersee. Das Wehr Port liess aber nur 700 Kubikmeter pro Sekunde durch. Fazit: 800 Kubikmeter pro Sekunde flossen in den Bielersee und durch den Zihlkanal auch in den Neuenburgersee zurück.
Schlimm traf es auch das freiburgische «Le Rondet» an der Broye, wo das Wasser örtlich 1,7 Meter hoch stand.
Die Katastrophe vernichtete einen grossen Teil der Zuckerrübenernte. Weil das Wasser stellenweise wochenlang stehen blieb und dann gefror, entstand auch bei den übrigen Kulturen grosser Schaden. Auf dem Gebiet der fünf Juragewässerkantone wurde dieser mit 1,5 Millionen Franken beziffert.
Die kurze Blüte, welche die Erste Juragewässerkorrektion der Region beschert hatte, wurde abrupt beendet. Den Verheerungen von 1944 folgten nun regelmässig weitere Überschwemmungen, so 1948, 1950, 1952, 1953 und 1955.
Offensichtlich ist das grosse Werk von Johann Ulrich Schneider und Richard La Nicca unvollendet geblieben. Denn es drohte die erneute Versumpfung weiter Teile des Seelands.
Ursachen für die erneuten Überschwemmungen
- Mit der Entwässerung und der Kultivierung füllten sich die porösen Torfböden nicht mehr mit Wasser. Das Neuland sackte deshalb in sich zusammen, stellenweise über einen Meter.
- Das alte Stauwehr bei Nidau bewährte sich nicht bei Hochwasser. Das änderte sich erst mit der Fertigstellung des Regulierwehrs Port 1939.
- Entgegen dem Bundesbeschluss von 1867 fehlte die Korrektion der Aare zwischen Büren und der Emmemündung.
- Die Landwirte wähnten sich in Sicherheit und meinten, dass die Epoche der Hochwasser endgültig der Vergangenheit angehöre. Sie bewirtschafteten deshalb immer tiefer gelegene Gebiete und Strandböden. Die wiederkehrenden Hochwasser machten ihnen jedoch einen Strich durch die Rechnung.
Der Bund macht mit
1952 unterbreiteten die Kantone dem Bundesrat ein Projekt für weitere Korrektionsarbeiten. Kantone und Bund waren sich indessen über die Finanzierung nicht einig. Die Kantone forderten vom Bund höhere Subventionen. Schliesslich sicherte dieser eine Kostenbeteiligung von 50 Prozent zu. Der Voranschlag belief sich auf 98 Millionen Franken. Die Budgetüberschreitung – schlussendlich betrugen die Kosten 152 Millionen Franken – war vor allem der Teuerung zuzuschreiben.
Robert Müller
Die Zweite Juragewässerkorrektion wurde vom gebürtigen Badener Robert Müller (1908–1987) geleitet. Müller stand von 1938 bis 1956 der hydraulischen Abteilung der Versuchsanstalt für Wasserbau und Erdbau vor. 1947 ernannte ihn der Bundesrat zum ausserordentlichen Professor für Hydraulik an der ETH. Im Alter von 48 Jahren wurde ihm die Leitung der Zweiten Juragewässerkorrektion angeboten. Für diese verantwortungsvolle Aufgabe verliess Müller die ETH und gab seine Professur auf. 1957 trat er die neue Stelle an und zog mit seiner zehnköpfigen Familie nach Bellmund. Dort blieb er bis zu seinem Tod.
Die Hauptarbeiten der Zweiten Juragewässerkorrektion
Die zwischen 1962 und 1973 ausgeführte Juragewässerkorrektion verfolgte das Ziel, den Schwankungsbereich der Juraseen zu reduzieren. Einerseits mussten die Hochwasserstände der Landabsenkung angepasst werden. Andererseits sollten die Niedrigwasserstände zugunsten der Fischerei, der Schifffahrt und des Landschaftsbildes um rund einen Meter angehoben werden. Folgende Massnahmen wurden ergriffen:
- Zwei- bis dreifach grössere Querschnitte in Broye- und Zihlkanal: Damit wurde aus den drei Juraseen endlich ein «Einheitssee» geschaffen.
- Vertiefung des Nidau-Büren-Kanals um 5 Meter: So floss bedeutend mehr Wasser aus dem Bielersee ab.
- Sicherung der 20 Kilometer langen Mäanderstrecke zwischen Büren und Solothurn: Die Erosion der Uferböschungen konnte gestoppt werden.
- Verbreiterung und Vertiefung der Aare unterhalb von Solothurn bei der Emmemündung: Der Emmeriegel wurde endgültig abgetragen.
Ausgebaggert und verbaut
Während der Zweiten Juragewässerkorrektion wurden gewaltige Massen an Sand und Lehm ausgebaggert. Dabei kam der riesige Schwimmbagger «Manitowoc» zum Einsatz. 615 Tonnen schwer, war er mit einer Kantine und eigenen Unterkünften ausgestattet. Verklappschiffe versenkten den Aushub in die Seen. Das führte jedoch zu heftigen Protesten. Die Versenkung von Aushubmaterial in den Murtensee sei eine unnötige Seeverunreinigung, monierten die Kritiker.
Mit dem Ausbaggern der Kanäle und der Aare war die Arbeit aber nicht erledigt. Die Uferböschungen und teilweise auch die Kanalsohlen mussten gesichert werden. Das Material lieferte der Steinbruch oberhalb Twanns. Zum Transport der Steinblöcke wurde eigens eine Seilbahn installiert.
Wie die Erste Juragewässerkorrektion zog auch die Zweite zahlreiche Anpassungsarbeiten nach sich. Über die nun breiteren Kanal- und Flussprofile mussten grössere Brücken gespannt werden.
Voller Erfolg
Nun endlich hatte der Mensch die Natur bezwungen. Mit der Zweiten Juragewässerkorrektion konnten die Seeschwankungen minimiert werden. Fortan blieben Flüsse, Äcker, Ställe und Keller trocken. Einen Härtetest bestand das Werk 1999. Der Thunersee trat über die Ufer, und das Berner Mattequartier stand unter Wasser. Auch am Hagneck-Kanal wurde eine Jahrhunderthöhe gemessen. Doch dort folgten die Wasser den Anweisungen der Ingenieure und verliessen nirgends den ihnen zugewiesenen Weg.
Regulierte Seen
Rund um die Uhr wird mithilfe des Regulierwehrs Port dafür gesorgt, dass weder die Aare noch die Seen über die Ufer treten oder allzu tief absinken. Diese verantwortungsvolle Aufgabe verlangt grosse Erfahrung, betrifft doch das Gesamtwerk der Juragewässerkorrektion das Wasser von rund einem Viertel der Schweiz. Würde etwas schief gehen, wären die Auswirkungen bis in den Kanton Aargau spürbar. Die Steuerung des Regulierwehrs, also das Heben und Senken der Wehrschützen, erfolgt in einer Zentrale in Bern. Die Regulierung stützt sich auf ein vom Bundesrat genehmigtes Reglement.
Sumpf oder Mensch
Das Gebiet der drei Juraseen ist keine Naturlandschaft mehr. Es ist in weiten Teilen von Menschenhand geformt. Mit der Juragewässerkorrektion ging das grösste Moor der Schweiz verloren. Artenreiche Auenwälder verschwanden, und die Lebensgrundlage zahlreicher einheimischer Tiere wie der Schildkröte oder dem Biber wurden zerstört. Was für die Menschen ein Segen war, bedrohte gleichzeitig unzählige Tiere und Pflanzen.
Nach der Zweiten Juragewässerkorrektion nannte der Volksmund die Uferverbauungen entlang der Kanäle respektlos «Professor Müllers Steinwüste». In der Zwischenzeit sind die Steinblöcke begrünt und die Blockfelder sehen nicht mehr wie «lebensfeindliche Uferlandschaften» aus, wie Naturschützer klagten.
Zwei Weltanschauungen prallten aufeinander. Auf der einen Seite standen zum Beispiel die Befürworter der modernen Landwirtschaft, die mithilfe von Traktoren und Schädlingsbekämpfungsmitteln in nie da gewesenem Masse produzierte. Auf der anderen Seite brandmarkten kritische Bürgerinnen und Bürger den Anbau von Monokulturen, die Begradigung und Kanalisierung der Flüsse, das Abholzen der Hecken oder das Verschwinden der Schmetterlinge. Während der Gesamtmelioration Ins-Gampelen-Gals war in den Leserbriefspalten des Bieler Tagblatts vom «Landschaftsmord im Grossen Moos» die Rede. Die 52 zu Gunsten der Natur ausgesonderten Hektaren seien lediglich «Almosen» und «Gettos für die Tiere».
Der Biber kommt zurück
Heute haben sich die Wogen wieder etwas geglättet. Beim Wort «Umweltschutz» verdreht niemand mehr die Augen. Im Gegenteil: Das Grosse Moos wird heute im grossen Stil nach biologischen Richtlinien oder nach den Standards der Integrierten Produktion bewirtschaftet. In renaturierten Kanälen nagen erste Biber wieder an Baumstämmen, und ausgewiesene Naturschutzgebiete garantieren das Überleben seltener Tiere und Pflanzen.
Inseln der Wildnis
Bereits bei den Arbeiten zur Zweiten Juragewässerkorrektion sind gewisse Anliegen der Naturschützer berücksichtigt worden. So wurden zum Beispiel mit Deponiematerial Vogelschutzinseln aufgeschüttet. Im ruhigen Wasser zwischen den Inseln finden auch Fische geeignete Laichplätze.
Der Altlauf der Aare und das Häftli blieben von den Arbeiten gänzlich unberührt. Diese Gebiete stehen heute unter Naturschutz. Beide, das Häftli und die Alte Aare, beeindrucken durch ihre wilde Schönheit.
Als Folge der Seeabsenkung tauchte entlang des Südufers des Neuenburgersees auch eine mehrere 100 Meter breite Sandbank auf, die von den aus dem Grossen Moos vertriebenen Tieren und Pflanzen rasch besiedelt und bewachsen wurde. Die Grande Cariçaie ist heute das grösste zusammenhängende Schilf- und Riedgebiet der Schweiz und erstreckt sich über eine Distanz von 40 Kilometern Länge.