Historisches Archiv der Region Biel, Seeland und Berner Jura
Die Katastrophe der Neptun
Juragewässer - Region / Agglomeration Biel - Stadt Biel - Energie - Feste und Feierlichkeiten - Musik - Naturereignisse - Schiffahrt - Unglücksfälle und Katastrophen
Am 25. Juli 1880 begab sich eine Gruppe junger Leute auf einen Ausflug mit dem Schiff. Das Ziel war Auvernier, bekannt für seine ausgezeichneten geräucherten Silberfelchen. Das Wetter war ausgezeichnet und nichts liess an eine Verschlechterung der Wetterlage denken. Um ein Uhr nachmittags begab sich die fröhliche Gesellschaft auf die "Neptun", einen kleinen Dampfer der gleichnamigen Aktiengesellschaft.
Zu der Gruppe gehörten: Herr und Frau Karl Zigerli-Affolter, Direktor der Mädchensekundarschule; Herr und Frau Eberhardt, Direktor der Volksbank; Herr und Frau Schneider-Lanz, Graveur; Herr und Frau Hunziker-Seitz, Händler; Herr und Frau Gerber-Jessi, Lehrer; Herr und Frau H. Engel-Teutsch, Händler; Herr. Affolter, Mechaniker; Fräulein Zigerli und Fräulein Jester, Lehrerinnen, und Herr und Frau Tschantré-Lanz.
Herr Zigerli übernahm nicht nur die Rolle des Kapitäns, er war auch am Steuer. Der Mechankier, Herr, Affolter, kümmerte sich um das Kesselhaus. Die "Neptun" machte sich auf den Weg, begleitet vom Applaus einer sympathischen Menge, die gekommen war, um die Ausflügler zu begrüssen und ihnen eine gute Reise zu wünschen. Letztere antworteten mit einem Lied, das wie ein letztes "Adieu" vom Schiff herübertönte.
Die Herzen schlugen in gegenseitiger Harmonie - das sah man nicht zuletzt an den freudestrahlenden Gesichtern, die für einmal von den Alltagssorgen befreit waren. Man überliess sich ganz dem Glücksgefühl, im Einklang mit der Natur zu leben. Gespräche und Gesänge aus einem wohl unerschöpflichen Repertoire wechselten sich ab. Manchmal wurde es auch still, um das Panorama des bewegten Ufers voll und ganz schauend zu geniessen - letzteres schien zu fliehen, wie in einem gigantischen Film. Man sah Dörfer, Weiler und die Weinberge am Fuss der Seekette vorbeiziehen, ebenso die malerische Kirche von Ligerz, die St.-Petersinsel, die Kirchtürme von Neuenstadt und das Schloss St.Johannsen an der Mündung der Zihl.
Am Westende des Sees glitt die "Neptun" vorsichtig in das Bett der Zihl, wo sie sich in einem scheinbar ausweglosen Heideland zu verlieren schien. Man winkte dem historischen Schloss der Zihl zu und plötzlich befand man sich auf der weiten Fläche des Neuenburgersees. Der kleine Dampfer spielte auch weiterhin seine Rolle als gehorsamer, gut erzogener Diener. Man kam voran, ohne Prahlerei und ohne bemerkt zu werden. Die "Neptun" erschien wie ein winziges Etwas, das auf der Unendlichkeit dahintrieb .
Aber man war noch nicht lange auf dieser scheinbar unermesslichen Wasserfläche, als sich eine beunruhigende Veränderung in der Atmosphäre bemerkbar machte. Verdächtige Wolken schienen plötzlich aus dem Creux-du-Van emporzuwachsen, und sie krönten den Grat des Chaumont. Es wurde sehr schwül und die Hitze. Ganz gewiss bahnte sich ein Gewitter an. So war es angezeigt, einen Hafen aufszusuchen, denn die "Neptun" war nicht gut gegen einen Sturm gewappnet.
Glücklicherweise näherte man sich dem Ziel. Als die "Neptun" vor Neuenburg südwärts strebte, grüsste man die Hauptstadt des ehemaligen Fürstentums mit einem patriotischen Lied, das vom Ufer aus wohl nicht hörbar war. Endlich kam Auvernier in Sichtweite, und man vernahm in der Ferne ein Donnergrollen, den Vorboten des Gewitters. Die "Neptun", stolz auf das Vollbrachte, legte im Hafen an, und nur kurz darauf setzten sich die Ausflügler an die Tische eines Restaurants, wo sie geräucherte Silberfelchen zu einem spritzigen Wein genossen. Lassen wir die die fröhliche Gesellschaft ganz den Moment geniessen, denn die Schicksalsstunde naht, in der... - aber antizipieren wir nicht! Lassen wir auch das Gewitter vorbeigehen, das bloss einen viel schwereren Sturm ankündigte, der die Gegend heimsuchen sollte.
Es ist sieben Uhr abends. Die "Neptun", zurück aus Auvernier, wartet bei der Anlegestelle auf der Südseite der Petersinsel, ihrem letzten Zwischenhalt. Auf dem Rückweg hat es keine nennenswerte Zwischenfälle gegeben. Von Herrn Louis, dem sympathischen Pächter des Inselrestaurants, mit Herzlichkeit empfangen, haben unsere jungen Leute im grossen Saal des Hotels Platz genommen. Den Damen wird ein Tee serviert, und die Herren degustieren mit Kennermiene die besten Weine des Rebbergs - der "Chavannes" erweist sich als Spitzenwein. Fräulein Jester setzt sich ans Klavier und beginnt mit "An der schönen blauen Donau", dem mitreissenden Walzer von Johann Strauss. Die Gesellschaft lässt sich nicht lange bitten - man schiebt die Tische zur Seite, um den Tanzenden Raum zu geben. Singe und tanze, ausgelassene Jugend, geniesse das Leben, solange es dir lacht! Denn die Minuten sind gezählt und wenn die letzte beginnt, wird das Erwachen schrecklich sein.
Herr Louis, der freundliche Gastgeber, scheint besorgt. Er nimmt Herrn Zigerli zur Seite und erläutert ihm die Bedenken, die ihm hinsichtlich der Wetterlage gekommen sind. Es droht ein schweres Gewitter, sagt er ihm, und es wäre ratsam, sich auf den Rückweg zu machen, bevor das Unwetter ausbricht. Herr Zigerli, Vater einer grossen Familie, versteht. Die Warnung stimmt ihn nachdenklich. Vor seinem inneren Auge sieht er die Kinder, die mit Ungeduld die Rückkehr der Eltern erwarten. Andrerseits glaubt er nicht an eine unmittelbar drohende Gefahr, und er zögert, die allgemeine Heiterkeit zu stören. Bevor er das Signal zum Aufbruch gibt, lässt er einige Minuten verstreichen - wertvolle Minuten, welche die "Neptun" gerettet hätten!
Dann drängt er zum Aufbruch: Schluss mit dem Tanz, Schluss mit den Spielen! Mit Bedauern, aber zügig kehren die Ausflügler zur "Neptun" zurück. Obwohl Herr Zigerli vom drohenden Unwetter gesprochen hat, glaubt niemand an die Gefahr. Man muss bedenken, dass das bedrohliche Bild am westlichen Horizont von der Anlegestelle aus kaum sichtbar war, es war nur dunkles Donnergrollen zu hören.
Die "Neptun" begab sich auf den See hinaus, wo das Wasser unruhig geworden war. Herr Louis winkte mit seinem Taschentuch. Die jungen Leute antworteten mit einem Gesang, der bald in der Weite des Raumes verebbte - ach, es war ein Schwanengesang!
Vernehmen wir jetzt, was die "Gazette du village" uns in ihrer Nummer vom 28. Juli erzählt:
"Bereits am Nachmittag wies die Oberfläche des Sees eine ungewöhnliche Färbung auf; violette und gelbliche Streifen wechselten mit schwarzbraunen und smaragdgrünen Stellen. Die Schiffer und Fischer zuckten die Schultern und kündigten für den Nachmittag ein Gewitter an, das sich über dem See entladen würde, was tatsächlich gegen halb vier auch geschah. Doch das Gewitter war nicht so heftig. Die Temperatur hatte sich keineswegs abgekühlt und bis um halb acht blieb es schwül und die Hitze wurde noch drückender.
Genau zu dieser Zeit verliess der kleine Dampfer den Hafen der Petersinsel und fuhr in Richtung Engelberg, um dort Schutz vor dem hereinbrechenden Gewitter zu suchen. Rund zwei- bis dreihundert Meter von Wingreis entfernt wurde das Schiff plötzlich von den heftigen Windstössen des Joran erfasst. Anstatt mit der Längsachse in Richtung des Windes zu fahren, wollte der Steuermann unbedingt noch Engelberg erreichen. Dadurch war die Breitseite der "Neptun" voll und ganz den Wellen ausgesetzt, die mit Heftigkeit über das Schiff hereinbrachen. Es war umso gefährlicher, als die Kajüte auf das Deck gesetzt war und somit den pfeifenden Windstössen noch mehr Angriffsfläche bot. Plötzlich verschwand die "Neptun" in den Fluten. Noch zehn Minuten zuvor war aus der Kajüte der fröhliche Gesang der jungen Menschen erklungen. Jäh vertrieben jetzt der Tod und die Stille ihre Lebensfreude - auf immer.
Der "Démocrate" vom 6. August berichtete das Folgende:
"Der Sturm entlud sich plötzlich. Angekündigt wurde er durch einen heftigen Windstoss aus Westen, der enorme Wellen warf. Als das Schiff zu schaukeln begann, wollte Herr Tschantré, der sich auf Deck befand, nach vorne treten, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Doch im selben Augenblick kam ein heftiger Windstoss aus Osten. Diese zwei Windstösse formten einen Luftwirbel, den man sogar von Magglingen aus sehen konnte, und rissen Herrn Tschantré ins Wasser. Das Drama dauerte kaum mehr als vier Sekunden. Herr Tschantré konnte sich ans Rettungsboot klammern, dessen Kette sich glücklicherweise losgelöst hatte. Schwimmend erreichte auch Herr Engel das Rettungsboot."
Auch der "Hinkende Bote" des Jahres 1881 beschäftigte sich mit dem Drama:
"Nach einem Halt auf der Petersinsel fuhr die "Neptun", bedroht von riesigen Wellen, die das Schiff jederzeit in Gefahr bringen konnten, eiligst in Richtung Biel. Der Regen fiel in Sturzbächen vom Himmel. Die Damen und einige Herren zogen sich in die Kajüte zurück und schlossen die beiden Türen.
Der ungeübte Kapitän-Steuermann und der unerfahrene Bordmechaniker spürten die grosse Verantwortung, die auf ihnen lastete. Bald schon waren Schreie "an Land, an Land!" zu hören. Der Lehrer, Herr Zigerli, der am Steuer war und sich mit einer solchen Situation nicht auskannte, machte in diesem Moment eine zu brüske Bewegung, so dass sich die "Neptun", die bislang mit dem Rückenwind fuhr, plötzlich im Gegenwind befand. In einem winzigen Augenblick kenterte das Schiff und verschwand in den Tiefen des Sees.
Ein schrecklicher Schrei übertönte für einen Moment das Getöse des Sturms, dann war nichts mehr zu hören.
Zwei Passagiere, die sich im Moment des Unglücks an Deck befanden und ins Wasser fielen, konnten sich ans Rettungsboot klammern, dessen Kette glücklicherweise gerissen war. Man hörte ihre verzweifelten Hilferufe und sie wurden vom gegenüberliegenden Ufer aus entdeckt. Als sich der Sturm ein wenig gelegt hatte, liefen zwei Barken aus, und eine Stunde später konnten die zwei Männer halbtot gerettet werden.
Während des schrecklichen Unwetters hörte man in der Nähe des Ufers Schreie. Das Toben und Tosen des Wassers erlaubte es jedoch nicht, dem Unglücklichen zu helfen. Am frühen Morgen entdeckte man dann am Ufer die Leiche. Es war der Körper von Zigerli, der vergeblich versucht hatte, während fast einer Stunde gegen die Fluten anzukämpfen. Die Leiche wies Zeichen eines heftigen Todeskampfes auf. Als Vater von sechs Kindern und im Wissen, dass seine Frau ertrunken war, kann man sich vorstellen, was er durchgemacht hatte.
Die traurige Nachricht breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Überall war man konsterniert. Hunderte von Menschen kamen aus Biel und der Umgebung an den See, um Näheres über die Katastrophe zu erfahren, und in der Hoffnung, noch einige Überlebende vorzufinden. Doch sie stellten lediglich fest, dass der See in Momenten des Zornes alles verschlucken konnte, ohne Spuren zu hinterlassen."
Das "Journal du Jura" schrieb in seiner Nummer vom 29. Juli:
"In Biel ist man noch immer sehr betroffen. Man hoffte, dass noch ein Wrackteil der "Neptun" auftauchen würe, oder dass man eine der in der Kajüte eingeschlossenen Leichen finden würde. Heute hat sich auch diese Hoffnung zerschlagen, und man stellt sich die schreckliche Frage: Waren die unglücklichen, in der Kajüte eingeschlossenen Opfer noch am Leben, als das Schiff sank und das hereinbrechende Wasser dem Schrecken ein Ende bereitete? Das wird erst geklärt sein, wenn die "Neptun" einmal gefunden ist, die Uhren der Schiffbrüchigen werden dies zeigen! Die Uhr von Herrn Zigerli lief noch, als man sein Leiche bergen konnte."
Autor: Charles Favre / Quelle: Archiv des Journal du Jura 1880
Zu der Gruppe gehörten: Herr und Frau Karl Zigerli-Affolter, Direktor der Mädchensekundarschule; Herr und Frau Eberhardt, Direktor der Volksbank; Herr und Frau Schneider-Lanz, Graveur; Herr und Frau Hunziker-Seitz, Händler; Herr und Frau Gerber-Jessi, Lehrer; Herr und Frau H. Engel-Teutsch, Händler; Herr. Affolter, Mechaniker; Fräulein Zigerli und Fräulein Jester, Lehrerinnen, und Herr und Frau Tschantré-Lanz.
Herr Zigerli übernahm nicht nur die Rolle des Kapitäns, er war auch am Steuer. Der Mechankier, Herr, Affolter, kümmerte sich um das Kesselhaus. Die "Neptun" machte sich auf den Weg, begleitet vom Applaus einer sympathischen Menge, die gekommen war, um die Ausflügler zu begrüssen und ihnen eine gute Reise zu wünschen. Letztere antworteten mit einem Lied, das wie ein letztes "Adieu" vom Schiff herübertönte.
Die Herzen schlugen in gegenseitiger Harmonie - das sah man nicht zuletzt an den freudestrahlenden Gesichtern, die für einmal von den Alltagssorgen befreit waren. Man überliess sich ganz dem Glücksgefühl, im Einklang mit der Natur zu leben. Gespräche und Gesänge aus einem wohl unerschöpflichen Repertoire wechselten sich ab. Manchmal wurde es auch still, um das Panorama des bewegten Ufers voll und ganz schauend zu geniessen - letzteres schien zu fliehen, wie in einem gigantischen Film. Man sah Dörfer, Weiler und die Weinberge am Fuss der Seekette vorbeiziehen, ebenso die malerische Kirche von Ligerz, die St.-Petersinsel, die Kirchtürme von Neuenstadt und das Schloss St.Johannsen an der Mündung der Zihl.
Am Westende des Sees glitt die "Neptun" vorsichtig in das Bett der Zihl, wo sie sich in einem scheinbar ausweglosen Heideland zu verlieren schien. Man winkte dem historischen Schloss der Zihl zu und plötzlich befand man sich auf der weiten Fläche des Neuenburgersees. Der kleine Dampfer spielte auch weiterhin seine Rolle als gehorsamer, gut erzogener Diener. Man kam voran, ohne Prahlerei und ohne bemerkt zu werden. Die "Neptun" erschien wie ein winziges Etwas, das auf der Unendlichkeit dahintrieb .
Aber man war noch nicht lange auf dieser scheinbar unermesslichen Wasserfläche, als sich eine beunruhigende Veränderung in der Atmosphäre bemerkbar machte. Verdächtige Wolken schienen plötzlich aus dem Creux-du-Van emporzuwachsen, und sie krönten den Grat des Chaumont. Es wurde sehr schwül und die Hitze. Ganz gewiss bahnte sich ein Gewitter an. So war es angezeigt, einen Hafen aufszusuchen, denn die "Neptun" war nicht gut gegen einen Sturm gewappnet.
Glücklicherweise näherte man sich dem Ziel. Als die "Neptun" vor Neuenburg südwärts strebte, grüsste man die Hauptstadt des ehemaligen Fürstentums mit einem patriotischen Lied, das vom Ufer aus wohl nicht hörbar war. Endlich kam Auvernier in Sichtweite, und man vernahm in der Ferne ein Donnergrollen, den Vorboten des Gewitters. Die "Neptun", stolz auf das Vollbrachte, legte im Hafen an, und nur kurz darauf setzten sich die Ausflügler an die Tische eines Restaurants, wo sie geräucherte Silberfelchen zu einem spritzigen Wein genossen. Lassen wir die die fröhliche Gesellschaft ganz den Moment geniessen, denn die Schicksalsstunde naht, in der... - aber antizipieren wir nicht! Lassen wir auch das Gewitter vorbeigehen, das bloss einen viel schwereren Sturm ankündigte, der die Gegend heimsuchen sollte.
Es ist sieben Uhr abends. Die "Neptun", zurück aus Auvernier, wartet bei der Anlegestelle auf der Südseite der Petersinsel, ihrem letzten Zwischenhalt. Auf dem Rückweg hat es keine nennenswerte Zwischenfälle gegeben. Von Herrn Louis, dem sympathischen Pächter des Inselrestaurants, mit Herzlichkeit empfangen, haben unsere jungen Leute im grossen Saal des Hotels Platz genommen. Den Damen wird ein Tee serviert, und die Herren degustieren mit Kennermiene die besten Weine des Rebbergs - der "Chavannes" erweist sich als Spitzenwein. Fräulein Jester setzt sich ans Klavier und beginnt mit "An der schönen blauen Donau", dem mitreissenden Walzer von Johann Strauss. Die Gesellschaft lässt sich nicht lange bitten - man schiebt die Tische zur Seite, um den Tanzenden Raum zu geben. Singe und tanze, ausgelassene Jugend, geniesse das Leben, solange es dir lacht! Denn die Minuten sind gezählt und wenn die letzte beginnt, wird das Erwachen schrecklich sein.
Herr Louis, der freundliche Gastgeber, scheint besorgt. Er nimmt Herrn Zigerli zur Seite und erläutert ihm die Bedenken, die ihm hinsichtlich der Wetterlage gekommen sind. Es droht ein schweres Gewitter, sagt er ihm, und es wäre ratsam, sich auf den Rückweg zu machen, bevor das Unwetter ausbricht. Herr Zigerli, Vater einer grossen Familie, versteht. Die Warnung stimmt ihn nachdenklich. Vor seinem inneren Auge sieht er die Kinder, die mit Ungeduld die Rückkehr der Eltern erwarten. Andrerseits glaubt er nicht an eine unmittelbar drohende Gefahr, und er zögert, die allgemeine Heiterkeit zu stören. Bevor er das Signal zum Aufbruch gibt, lässt er einige Minuten verstreichen - wertvolle Minuten, welche die "Neptun" gerettet hätten!
Dann drängt er zum Aufbruch: Schluss mit dem Tanz, Schluss mit den Spielen! Mit Bedauern, aber zügig kehren die Ausflügler zur "Neptun" zurück. Obwohl Herr Zigerli vom drohenden Unwetter gesprochen hat, glaubt niemand an die Gefahr. Man muss bedenken, dass das bedrohliche Bild am westlichen Horizont von der Anlegestelle aus kaum sichtbar war, es war nur dunkles Donnergrollen zu hören.
Die "Neptun" begab sich auf den See hinaus, wo das Wasser unruhig geworden war. Herr Louis winkte mit seinem Taschentuch. Die jungen Leute antworteten mit einem Gesang, der bald in der Weite des Raumes verebbte - ach, es war ein Schwanengesang!
Vernehmen wir jetzt, was die "Gazette du village" uns in ihrer Nummer vom 28. Juli erzählt:
"Bereits am Nachmittag wies die Oberfläche des Sees eine ungewöhnliche Färbung auf; violette und gelbliche Streifen wechselten mit schwarzbraunen und smaragdgrünen Stellen. Die Schiffer und Fischer zuckten die Schultern und kündigten für den Nachmittag ein Gewitter an, das sich über dem See entladen würde, was tatsächlich gegen halb vier auch geschah. Doch das Gewitter war nicht so heftig. Die Temperatur hatte sich keineswegs abgekühlt und bis um halb acht blieb es schwül und die Hitze wurde noch drückender.
Genau zu dieser Zeit verliess der kleine Dampfer den Hafen der Petersinsel und fuhr in Richtung Engelberg, um dort Schutz vor dem hereinbrechenden Gewitter zu suchen. Rund zwei- bis dreihundert Meter von Wingreis entfernt wurde das Schiff plötzlich von den heftigen Windstössen des Joran erfasst. Anstatt mit der Längsachse in Richtung des Windes zu fahren, wollte der Steuermann unbedingt noch Engelberg erreichen. Dadurch war die Breitseite der "Neptun" voll und ganz den Wellen ausgesetzt, die mit Heftigkeit über das Schiff hereinbrachen. Es war umso gefährlicher, als die Kajüte auf das Deck gesetzt war und somit den pfeifenden Windstössen noch mehr Angriffsfläche bot. Plötzlich verschwand die "Neptun" in den Fluten. Noch zehn Minuten zuvor war aus der Kajüte der fröhliche Gesang der jungen Menschen erklungen. Jäh vertrieben jetzt der Tod und die Stille ihre Lebensfreude - auf immer.
Der "Démocrate" vom 6. August berichtete das Folgende:
"Der Sturm entlud sich plötzlich. Angekündigt wurde er durch einen heftigen Windstoss aus Westen, der enorme Wellen warf. Als das Schiff zu schaukeln begann, wollte Herr Tschantré, der sich auf Deck befand, nach vorne treten, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Doch im selben Augenblick kam ein heftiger Windstoss aus Osten. Diese zwei Windstösse formten einen Luftwirbel, den man sogar von Magglingen aus sehen konnte, und rissen Herrn Tschantré ins Wasser. Das Drama dauerte kaum mehr als vier Sekunden. Herr Tschantré konnte sich ans Rettungsboot klammern, dessen Kette sich glücklicherweise losgelöst hatte. Schwimmend erreichte auch Herr Engel das Rettungsboot."
Auch der "Hinkende Bote" des Jahres 1881 beschäftigte sich mit dem Drama:
"Nach einem Halt auf der Petersinsel fuhr die "Neptun", bedroht von riesigen Wellen, die das Schiff jederzeit in Gefahr bringen konnten, eiligst in Richtung Biel. Der Regen fiel in Sturzbächen vom Himmel. Die Damen und einige Herren zogen sich in die Kajüte zurück und schlossen die beiden Türen.
Der ungeübte Kapitän-Steuermann und der unerfahrene Bordmechaniker spürten die grosse Verantwortung, die auf ihnen lastete. Bald schon waren Schreie "an Land, an Land!" zu hören. Der Lehrer, Herr Zigerli, der am Steuer war und sich mit einer solchen Situation nicht auskannte, machte in diesem Moment eine zu brüske Bewegung, so dass sich die "Neptun", die bislang mit dem Rückenwind fuhr, plötzlich im Gegenwind befand. In einem winzigen Augenblick kenterte das Schiff und verschwand in den Tiefen des Sees.
Ein schrecklicher Schrei übertönte für einen Moment das Getöse des Sturms, dann war nichts mehr zu hören.
Zwei Passagiere, die sich im Moment des Unglücks an Deck befanden und ins Wasser fielen, konnten sich ans Rettungsboot klammern, dessen Kette glücklicherweise gerissen war. Man hörte ihre verzweifelten Hilferufe und sie wurden vom gegenüberliegenden Ufer aus entdeckt. Als sich der Sturm ein wenig gelegt hatte, liefen zwei Barken aus, und eine Stunde später konnten die zwei Männer halbtot gerettet werden.
Während des schrecklichen Unwetters hörte man in der Nähe des Ufers Schreie. Das Toben und Tosen des Wassers erlaubte es jedoch nicht, dem Unglücklichen zu helfen. Am frühen Morgen entdeckte man dann am Ufer die Leiche. Es war der Körper von Zigerli, der vergeblich versucht hatte, während fast einer Stunde gegen die Fluten anzukämpfen. Die Leiche wies Zeichen eines heftigen Todeskampfes auf. Als Vater von sechs Kindern und im Wissen, dass seine Frau ertrunken war, kann man sich vorstellen, was er durchgemacht hatte.
Die traurige Nachricht breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Überall war man konsterniert. Hunderte von Menschen kamen aus Biel und der Umgebung an den See, um Näheres über die Katastrophe zu erfahren, und in der Hoffnung, noch einige Überlebende vorzufinden. Doch sie stellten lediglich fest, dass der See in Momenten des Zornes alles verschlucken konnte, ohne Spuren zu hinterlassen."
Das "Journal du Jura" schrieb in seiner Nummer vom 29. Juli:
"In Biel ist man noch immer sehr betroffen. Man hoffte, dass noch ein Wrackteil der "Neptun" auftauchen würe, oder dass man eine der in der Kajüte eingeschlossenen Leichen finden würde. Heute hat sich auch diese Hoffnung zerschlagen, und man stellt sich die schreckliche Frage: Waren die unglücklichen, in der Kajüte eingeschlossenen Opfer noch am Leben, als das Schiff sank und das hereinbrechende Wasser dem Schrecken ein Ende bereitete? Das wird erst geklärt sein, wenn die "Neptun" einmal gefunden ist, die Uhren der Schiffbrüchigen werden dies zeigen! Die Uhr von Herrn Zigerli lief noch, als man sein Leiche bergen konnte."
Autor: Charles Favre / Quelle: Archiv des Journal du Jura 1880